__________________ ROSA DELFIN ___
Malerei . Fotografie . Gedichte
Die kreative Kraft des Unterbewusstseins
Sabine Kirstein


Rosa Delfin
(M)ein unschuldiger Blick in die deutsche Vergangenheit
Existentielle Themen im künstlerischen Werk von Sabine Kirstein
Begegnungen
Welch ein Glück ist es, wenn ein empfindsamer Mensch sich dazu durchringt, künstlerisch tätig zu werden. Diesen segensreichen Entschluss fasste Sabine Kirstein 2012, als sie zusah, wie vor ihren Augen das Werk Der Zwilling in mir entstand, das sie mit beiden Händen malte. Die Faszination dieses Tuns erfasste sie sofort und dies war zugleich die Initialzündung für ihr weiteres künstlerisches Schaffen, das sie mit ungebrochener Begeisterung neben ihrem Beruf in einer Münchner Anwaltskanzlei bis heute ausübt – nicht zuletzt auch als Ausgleich zu diesem.


Ihr Werk darf man getrost autobiografisch nennen, denn es ist stets das ganz eigene Empfinden, die Weise, wie sie gerade in der Welt steht und das ureigene Erleben, das Sabine Kirstein zur Farbe oder zum Fotoapparat greifen lässt. Auch die tägliche Begegnung mit der Justiz stößt Arbeiten an, mit Titeln wie Schuldlos schuldig, eines ihrer zentralen fotografischen Werke, das die Frage aufwirft, wie objektiv Gerechtigkeit überhaupt sein kann.
Abschied und Erlösung
Der Tod ihrer Mutter, einen Monat nachdem ihr erstes Bild entstand, führte Sabine Kirstein noch intensiver in den künstlerischen Ausdruck. Sie hatte keine Gelegenheit mehr, sich von ihrer Mutter zu verabschieden. Daher malte sie ihr ein Bild mit dem Titel Abschied, das sich aus drei Farbmomenten zusammensetzt: Rot steht darin für das Leben, Umbra symbolisiert die Steine, von denen die Mutter glaubte, sie habe sich diese in ihrem Leben selbst in den Weg gelegt, und Gold für die Erlösung. Besonders dieses, aber auch manch andere Bilder der Künstlerin wirken durchaus melancholisch, machen aber zugleich Mut, den Tod nicht zu fürchten.


Sie transportieren die innere Überzeugung, dass das Leben auf der Erde zwar endlich ist, die Seele aber nach dem Tod bleibt und wandert. Dementsprechend schreibt sie in ihrem Gedicht zum Bild Erlösung „Der Tod bedeutet nicht das Ende vom Leben, sondern den Anfang vom Leben nach dem Tod ...“ Nach der Vollendung eines Bildes entstehen häufig Gedichte. Hier formen sich Gedanken und Assoziationen zu Worten, die um das Werk kreisen, es beleuchten und manchmal mit einer Prise Ironie kommen-tieren, wie Der Zwilling in mir: "Wem gehören nur all die vielen Gedanken? Gehören die wirklich alle zur mir ? Werde versuchen sie zu ordnen ..." oder Unbunt: "Wer immer nur schwarz/weiß denkt, muss sich nicht wundern, eines Tages kleinkariert zu werden."
Nächstenliebe
Erlebtes macht Sabine Kirstein nicht nur in der Malerei, sondern auch in ihrer Fotografie sichtbar. Genau hingeschaut lässt uns auf einen am Boden liegenden Flüchtling schauen, während sich die Künstlerin fragt, was wir wohl empfinden würden, wenn dies Jesus selbst wäre, der da liegt? Können wir noch Nächstenliebe fühlen oder gar praktizieren?

So lässt uns Sabine Kirstein an ihren Überlegungen teilhaben, während sie uns zugleich Impulse gibt, die uns aus gewohnten Bahnen in vollkommen neue Gedankengänge katapultieren. Nicht selten tut sie das auf humorvoll-verschmitzte Weise, wie bei Ein einmaliges Angebot - Heidi, entschuldige bitte, ich hab's komplett versemmelt oder Der gute Geist in meinem Schrank.



Un-Schuld
Das kleine Gemälde Rosa Delfin (vollständiges Bild ganz oben) zeigt ein Schlüsselbild der Künstlerin. Sie hat es rasch und intuitiv gemalt und im dazu gehörenden Gedicht finden sich die Zeilen „(M)ein unschuldiger Blick in die deutsche Vergangenheit.“ Tief erschüttert erkannte die Künstlerin, dass diese Arbeit ihren Besuch als Schülerin im KZ in Dachau reflektiert: die Totenköpfe, eine sich verdunkelnde Sonne und ein aus verbrannter Schwärze aufsteigender, rosafarbener Delfin – vielleicht das Spielzeug eines Kindes im Vernichtungslager. Der Delfin wurde zu ihrem Leitbild, das sie zu den Themen Tod/Auferstehung und Schuld/Unschuld weiterführte.

Rosa Delfin
Bildausschnitte

Tod und Auferstehung
Diese Leitmotive begegnen uns andeutungsweise in den abstrakten Werken der Künstlerin, wie in dem Bild Denn sie wissen nicht. Selten ist so deutlich wie hier eine Kreuzform erkennbar. Aber auch sie löst sich fast auf und kann ebenso gut als Engelsfigur gelesen werden. Die feinen, in vielen Schichten aufgetragenen Farbschleier legen den Betrachter nicht fest, sondern gewähren ihm den Spielraum um seine eigenen Empfindungen und Gedanken zum Motiv zu entwickeln. Zugleich scheint es, als würde das Bild von etwas Geheimnisvollem umhüllt werden. Daher spricht eine faszinierende Zartheit aus ihm, ähnlich wie aus Seelenwanderung I und II, Seelenruhig oder Rosige Zeiten.


Vibrierende Farbschichten
Doch auch kraftvoll und fast etwas aufgewühlt kann es wirken, wenn Sabine Kirstein kühn ihre Farben setzt, die aber stets ein harmonisches Ganzes ergeben, wie bei den Bildern Genesis und Feuerfisch. Ruhe und Dynamik sind den Bildern gleichermaßen immanent, denn sie entstehen schnell und doch getragen, während eines emotional geführten Wurfs, der die in Acryl und Mischtechnik aufgetragenen Farbebenen vibrieren lässt. Die Künstlerin nutzt alle dienlichen Geräte, wie Bürsten, Rakel, Glasläufer oder Spachtel, um die Farbe zu verdichten, zu schieben und zu führen.




Dabei legt sie immer wieder tiefe Schichten frei – ein Vorgang, der sich parallel zur eigenen Bewusstseins-arbeit vollzieht. Die Malerei verschafft Sabine Kirstein die Möglichkeit, ihre Gefühle aufsteigen zu lassen und sich emotional frei und uneingeschränkt zu äußern. Diese setzt die Künstlerin in einzelnen, zumeist kleinformatigen Werken, aber auch in Bildpaaren und Serien um. Um sich von manchen eng mit ihrer Biografie verwobenen Arbeiten nicht trennen zu müssen, bietet sie jene auch als hochwertige, limitierte Kunstdrucke in verschiedenen Größen an.
Impulse und Ideale
Ihre künstlerischen Vorbilder in der Malerei sind insbesondere zwei Virtuosen, nämlich Gerhard Richter und der kürzlich verstorbene Meister des Informel, Karl Otto Goetz. Bei Ersterem faszinieren Sabine Kirstein die ruhig und gezielt mit dem berühmten Gummi-Rakel geführte abstrakte Farbfeldmalerei, bei Letzterem die spontan hingeworfene, hoch wirksame Geste. Hier erscheint ihr die Malerei vergleichbar mit Musik und Tanz, ebenfalls zwei wesentliche Quellen ihrer Inspiration: Auch dort reicht die Bandbreite von der gefühlvollen Weichheit der Melancholie bis hin zu freudig lebendigen, schnellen Bewegungen und Tonfolgen.
Wenn Sabine Kirstein, angeregt von jenen Qualitäten, ihre Empfindungen, Beobachtungen und nicht zuletzt ihre Ideale wie Toleranz und Gerechtigkeit künstlerisch überzeugend umsetzt, ist sie davon ganz erfüllt und zugleich befindet sie sich, wie sie sagt, „in einem wahnwitzigen Spagat zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit“. Dies macht ihre Arbeiten so bemerkenswert und gerade wegen des Spagats wünscht man sich, dass Sabine Kirstein in ihrer Kunst auch weiterhin eigenen Idealen und Intuitionen treu bleibt.
Dr. Ingrid Gardill
Kunsthistorikerin
Vorstandsmitglied - Kunstkreis Gräfelfing e.V.
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